Die Protagonistin Yeong-hye in Han Kangs Roman Die Vegetarierin beschließt eines Tages, sich in einen Baum zu verwandeln. Ihre Transformation beginnt mit einer stillen Rebellion gegen ihren Mann – sie entscheidet, kein Fleisch mehr zu essen – und schreitet fort bis zu dem Punkt, an dem sie auf dem Kopf stehend darauf wartet, dass ihre Hände endlich Wurzeln schlagen. Am Ende der Erzählung verweigert sie das Essen komplett und wird in einer psychiatrischen Einrichtung unter Einsatz massiver Gewalt zwangsernährt. Das klingt dunkel und beklemmend, und das ist auch die Grundstimmung des Romans. Die Rebellion der Protagonistin entfaltet eine ungeheure, selbstzerstörerische Kraft. Aber gleichzeitig hat die Geschichte auch etwas magisches, hoffnungsvolles, kraftvolles. Eine Frau bricht aus ihrer lieblosen Ehe aus, lehnt sich gegen ihren kontrollierenden Ehemann auf und damit gegen die normative Gewalt, die Frauen in patriarchalen Strukturen widerfährt. Ihre Verwandlung von der unscheinbaren Ehefrau zum Baum ist Ausdruck ihres radikalen Strebens nach Freiheit und Selbstbestimmung. Ich habe den Roman auch als eine Geschichte über die Überlebensstrategien von Frauen im Patriarchat verstanden: Wenn ich das System, in dem ich lebe, nicht ändern kann, bleibt mir nur, mich selbst zu verändern.
Warum erzähle ich das alles? Das hier ist ja kein Literaturblog. Die Geschichte von Yeong-hyes Transformation hat mich vor allem deshalb so tief berührt, weil sie mich an meine eigene Entwicklung in den vergangenen Jahren erinnert. Auch ich bin aus einer Ehe ausgebrochen, die mich eingeengt und am Wachsen gehindert hat. Auch ich habe damit extrem negative Reaktionen in meinem Umfeld provoziert, wurde zunächst in meinem Wunsch nach Autonomie nicht ernst genommen und dann für meine Entscheidung heftig, manchmal gewaltvoll, kritisiert. Auch meine Verwandlung von der angepassten Ehefrau, die ihre eigenen Bedürfnisse in einer sexlosen Ehe unterdrückt und es immer allen recht machen will, hin zu der Frau, die ich heute bin, war letztlich nichts anderes als eine Überlebensstrategie. Yeong-hye wird zum Baum. Ich bin zur Schlampe geworden.
Ich mache ja kein Geheimnis daraus, dass ich manchmal sehr hadere mit meiner devoten und masochistischen Sexualität. Sie erscheint mir oft als Widerspruch zu meiner feministischen Sicht auf die Welt und meiner selbstbestimmten Art, mein Leben zu leben. Dass Männer in unserer Welt so viel mehr Macht haben als Frauen, finde ich ungerecht und es macht mich oft wütend. Gleichzeitig stehe ich darauf, im sexuellen Kontext von Männern verhauen, gedemütigt, erniedrigt, benutzt zu werden. Es erregt mich, einem Mann (oder auch gleich mehreren, wenn wir schon dabei sind) hilflos ausgeliefert zu sein. Ich bin ständig auf der Suche nach männlicher Aufmerksamkeit. Seit einiger Zeit arbeite ich neben meinem Vollzeitjob in der IT ab und zu als Escort, weil es mich kickt, von fremden Männern begehrt und für Sex bezahlt zu werden. Ich fühle mich extrem wohl in dieser Rolle der sexuellen Dienstleisterin, die einem Mann jeden Wunsch von den Augen abliest. Nach dem Date in irgendeinem Berliner Mittelklassehotel düse ich dann nach Hause und mache Abendbrot für mein Kind. Jetzt, wo ich es so aufschreibe, denke ich mir gerade: Irgendwie auch okay, dass ich von dieser Ambivalenz meiner Bedürfnisse und der Gleichzeitigkeit meiner verschiedenen Lebensrealitäten manchmal überfordert bin.
Mir gefällt die Idee, meine sexuelle Submission als kraftvolle Strategie für den Umgang mit dem Patriarchat zu interpretieren. Indem sie beschließt, sich in einen Baum zu verwandeln, entzieht sich Yeong-hye der patriarchalen Kontrolle über ihr Leben und ihren Körper. Sie definiert ihre Existenz neu, indem sie ihre eigene Menschlichkeit aufgibt. Bei ihrer ersten Begegnung schätzt ihr Mann an ihr vor allem ihre Unscheinbarkeit: Er fühlt sich von ihr "weder angezogen noch abgestoßen und sah daher keinen Grund, sie nicht zu heiraten". Er erwartet von ihr, dass sie ruhig und klaglos ihre Rolle erfüllt und keine Ansprüche stellt. Mit ihrer Verwandlung in eine Pflanze treibt Yeong-hye diese von ihr erwartete Passivität auf die Spitze. Auch der selbstzerstörerische Aspekt dieser Strategie fasziniert mich. Meine sexuelle Fantasie zelebriert Gewalt gegen Frauen geradezu. Ich nutze sie für meinen ganz persönlichen Lustgewinn. Im sexuellen Kontext will ich dominiert und hart angefasst werden. Aber so richtig hart, mit blauen Flecken und allem drum und dran. Nicht selten habe ich erlebt, dass selbst dominante Männer überfordert waren von meinen sexuellen Wünschen.
Hätte ich in einer nicht-patriarchalen Welt andere sexuelle Fantasien und Vorlieben? Vermutlich schon. Aber in der Welt, in der ich nun einmal lebe, sind sie doch eigentlich eine extrem schlaue und kreative Antwort auf die bestehenden Machtstrukturen.
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