Mein Interesse an Sexarbeit hat ihren Ursprung in meinen sexuellen Fantasien. Meine Motivation für mein erstes Escort Date war primär begründet in dem Wunsch, eine langjährige Sexfantasie umzusetzen: Sex mit einem Fremden, der mich bezahlt. Als es nicht bei diesem einen Mal Sex gegen Geld blieb, habe ich sehr schnell gemerkt, dass bezahlte Dates für mich einen unerwarteten Nebeneffekt haben, der weit über sexuelle Lust hinausgeht. Als Sexarbeitende erschaffe ich mir einen ganz neuen Raum für Selbsterfahrung.
Um zu erklären, was genau ich damit meine, muss ich etwas weiter ausholen und Betty Martins Wheel of Consent zu Hilfe nehmen. Wer das Modell schon kennt, kann die folgenden drei Absätze einfach überspringen.
Die Bodyworkerin Martin hat das Wheel of Consent entwickelt, um zu erklären, wann physische Berührungen zwischen zwei Personen im Konsens geschehen und wann nicht. Im Grunde macht ihr Modell transparent, welche Intentionen hinter Berührungen stecken, in welche Richtung das Geschenk einer Berührung fließt und wer den primären Nutzen daraus zieht. Sie beachtet dabei zwei Faktoren, die bei jeder Berührung eine Rolle spielen: (1) Wer ist die handelnde Person? und (2) Wem nutzt die Berührung? Diese beiden Faktoren ergeben kombiniert vier Quadranten:
Dienen: Ich berühre eine andere Person, für ihren Genuss.
Beispiel: Ich gebe meinem Partner einen Blowjob, weil er Lust darauf hat.
Nehmen: Ich berühre eine andere Person, für meinen Genuss.
Beispiel: Ich beiße meinen Partner in den Hals, weil ich Lust darauf habe.
Erlauben: Eine andere Person berührt mich, für ihren Genuss.
Beispiel: Ich erlaube meinem Partner meine Brüste zu streicheln, weil er Lust darauf hat.
Annehmen: Eine andere Person berührt mich, für meinen Genuss.
Beispiel: Ich bitte meinen Partner mich zu fingern, weil ich Lust darauf habe.
In allen Quadranten des Kreises herrscht Konsens, denn alle Handlungen geschehen freiwillig. Natürlich sind die Quadranten in der Realität oft miteinander verflochten. Selten ist bei privaten sexuellen Begegnungen durchgehend transparent, wer gerade in der gebenden und wer in der nehmenden Rolle ist. Das ist prinzipiell auch erstmal nicht schlimm: Ob mein Partner mich am Ende eher zu seinem eigenen oder zu meinem Genuss leckt, ist ja auch egal, solange wir am Ende beide zufrieden aus unserer Begegnung herausgehen. Diese Vermischung und Intransparenz kann aber auch zu Unsicherheit, unbewussten Verletzungen, Grenzüberschreitungen und Ungleichgewicht führen. Ich bin schon oft mit einem diffusen Gefühl des Mangels aus privaten sexuellen Begegnungen hinausgegangen: „Irgendetwas fühlt sich nicht stimmig an. Ich weiß nicht genau was es ist, aber irgendwie bin ich nicht auf meine Kosten gekommen." Genau diese diffusen Gefühle kann das Wheel of Consent Modell erklären und aufdröseln. Für mich war es eine kleine Erleuchtung.
Und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Während in meinen privaten sexuellen Begegnungen alle Quadranten munter durcheinander purzeln und miteinander verschwimmen, sind sie in meinen bezahlten Dates messerscharf getrennt. Im Setting eines Escort Dates bin ich grundsätzlich immer in der Rolle der Gebenden. Ich bespiele ausschließlich die Quadranten "Dienen" und "Erlauben". Wenn ich eine sexuelle Dienstleistung erbringe, geht es mir immer um die andere Person, um ihren Genuss, ihre Wünsche und Bedürfnisse. Auch wenn ein Kunde mich zum Beispiel massiert, leckt, zum Orgasmus bringt (soll alles schon vorgekommen sein), geschieht das aufgrund des Paysex Settings immer primär zu seinem Genuss. Ich lasse mich nicht von meiner eigenen Lust leiten, sondern von seiner. Als Ausgleich dafür erhalte ich ja das Geld.
Diese klare Rollenverteilung eröffnet mir einen ganz neuen, klaren Blick auf meine eigenen Bedürfnisse und Vorlieben. Im Setting eines bezahlten Dates spüre ich sehr eindeutig, was mir selbst gefällt und was ich ausschließlich für die andere Person tue. Sexarbeit ist damit für mich der ideale Versuchsaufbau, um Forschungsfragen rund um meine Sexualität zu bearbeiten. Fragen wie "Warum habe ich eigentlich Sex? Welche meiner Bedürfnisse erfülle ich damit? Was gefällt mir und was nicht? Worauf habe ich selbst Lust und was mache ich primär für jemand anderen?" Ein Beispiel: Ich kann feuchten Küsse mit sehr viel Zungenaction nicht besonders viel abgewinnen. Bis zu einem gewissen Grad kann ich sie tolerieren und mache das bei bezahlten Dates auch gern, denn ich will ja in erster Linie die Wünsche meines Kunden erfüllen. Den schlabberigen Kuss auszuhalten, ist Teil meiner Dienstleistung, die ich freiwillig und gern erbringe und für die ich mich sehr gut bezahlen lasse. Aber warum habe ich eigentlich in der Vergangenheit ständig für mich unangenehme bis eklige Küsse von Männern ertragen, die mich nicht dafür bezahlt haben?
Bezahlte Dates unterscheiden sich für mich in vielerlei Hinsicht überraschend wenig von den "normalen" Dates, die ich in den letzten Jahren hatte. Die Männer, die mich als Escort buchen, sind im Schnitt etwas wohlhabender, etwas älter und etwas weniger normschön als die Männer, die ich privat über Dating Apps kennengelernt habe. Aber die Rolle als sexuelle Wunscherfüllerin ist mir fast schmerzhaft vertraut. Im Nachhinein stelle ich fest, dass es mir auch bei unbezahlten Dates manchmal mehr oder weniger egal war, ob ich mich zu meinem Gegenüber hingezogen fühlte oder nicht. Oft ging es mir nämlich primär darum, mein Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung zu stillen. Und das hat leider häufig nicht besonders gut funktioniert. Viele der Männer, die ich über Dating Apps kennen gelernt habe, konnten oder wollten mir nicht die Aufmerksamkeit schenken, nach der ich mich so sehr sehnte. Sie hatten im Grunde wenig Interesse an mir. Oft haben sich diese Dates dann angefühlt wie unbezahlte Sexarbeit - Der Typ hat seine Bedürfnisse befriedigt bzw. habe ich seine Bedürfnisse befriedigt, und ich selbst bin am Ende irgendwie leer ausgegangen. Daran waren nicht nur die Männer Schuld (das Patriarchat im allgemeinen hat aber sicher nicht geholfen!). Ich selbst habe dieses Ungleichgewicht zugelassen, vielleicht sogar aktiv herbeigeführt. Ich hatte große Angst vor Ablehnung und Zurückweisung. Mein Selbstwertgefühl war manchmal ziemlich im Keller. Und ich habe beim Online Dating phasenweise aus einem großen Defizit an Nähe heraus agiert, was mich natürlich umso verletzlicher gemacht hat. Oft habe ich dann, länger als es gut gewesen wäre, an unbefriedigenden Begegnungen festgehalten, ohne genau zu wissen warum. Erst meine Erfahrungen mit Sexarbeit haben mir diese neue Reflektionsebene zugänglich gemacht.
Geld für Sex zu verlangen, hat mir eine vollkommen neue Dimension von Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung für meinen Körper und meine Sexualität eröffnet. Ich kann nur das verkaufen, was mir selbst gehört. Und ich kann nur für etwas Geld verlangen, das einen Wert hat.
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