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Schließt ein Machtgefälle Einvernehmlichkeit aus?

  • Writer: OneBigYes
    OneBigYes
  • Aug 8, 2022
  • 5 min read

Updated: May 28, 2024



Eigentlich ist es mit der Einvernehmlichkeit beim Sex doch nicht besonders kompliziert: "ja heißt ja" und "nein heißt nein". Schön erklärt wird das im Tea Consent Video, in dem das Anbieten einer Tasse Tee als Gleichnis für das Initiieren sexueller Handlungen verwendet wird. Ein Beispiel: Eine Person sagt, sie wolle eine Tasse Tee, ändert dann aber ihre Meinung und will nun doch keinen Tee. Wie sollte ich mich verhalten? Klar: Ich akzeptiere, dass sie keinen Tee möchte und lasse sie in Ruhe. Auf gar keinen Fall flöße ich ihr den Tee gewaltsam ein. Anderes Beispiel: Eine Person ist bewusstlos. Natürlich biete ich ihr keinen Tee an, denn bewusstlose Personen wollen keinen Tee trinken. Simpel, oder?


Im BDSM ist es leider meistens nicht so einfach. Tatsächlich habe ich noch nie so viel über Einvernehmlichkeit gesprochen wie in BDSM Beziehungen, eben weil das Thema in diesem Kontext so kompliziert und facettenreich ist. Und natürlich auch besonders bedeutsam, da ich mich als Sub in Situationen begebe, die mich sehr verletzlich machen. Für meine dominanten Partner ist es daher essentiell wichtig, dass sie möglichst genau wissen, wie weit sie gehen können ohne meine Grenzen zu verletzen. Einvernehmlichkeit und Vertrauen sind das Fundament, aufgrund dessen wir unsere Kinks überhaupt ausleben können. Aber es ist eben sehr viel komplizierter als "ja heißt ja" und "nein heißt nein". Die mehr oder weniger schwarz-weiße Tea Consent Interpretation ist im BDSM Kontext nicht ausreichend.


Ein Beispiel: Mein Partner und ich stehen auf harten Sex, der an meine Schmerzgrenze und darüber hinaus geht. Es kommt also durchaus vor, dass ich beim Sex so etwas sage wie "Ich kann nicht mehr" oder "Bitte bitte hör auf". Mit dem Tee wäre die Sache eindeutig: Ich will keinen Tee, sage das auch unmissverständlich und mein Partner sollte aufhören, mir den Tee gewaltsam einzuflößen. Nun ist es aber so, dass mich genau das reizt: das Gefühl benutzt zu werden, ausgeliefert zu sein, etwas für meinen Dom aushalten zu müssen. Und auch wenn ich mir in dem Moment des Schmerzes tatsächlich wünsche, dass mein Partner aufhört, gibt mir die Tatsache, dass er trotzdem weitermacht, einen besonderen Kick. Ein anderes Beispiel: Ich würde gerne mal davon aufwachen, dass mein Partner in mich eindringt. Was mich daran kickt ist die Vorstellung, nach einigen Momenten der Orientierungslosigkeit zu realisieren, was da eigentlich gerade mit mir passiert, und, dass ich dem ausgeliefert bin. Mit dem Tee Gleichnis betrachtet, ist dieses Szenario natürlich extrem problematisch: Schlafende Personen wollen keinen Tee trinken und vor allem können sie auch keine Zustimmung zum Teetrinken geben. Ich will aber ja gerade dieses Gefühl des Ausgeliefertseins erleben. Ich will, dass mein Partner gegen meinen Willen Dinge mit mir anstellt, die zum Beispiel erniedrigend oder schmerzhaft sind. Ich will mich wehren, jammern und betteln und irgendwann erschöpft aufgeben und mich in diesem Gefühl der Unterwerfung verlieren.


Diese Art von BDSM nennt man Consensual Non-Consent (CNC), also einvernehmliche Nichteinvernehmlichkeit, und sie gilt als edgeplay, eben weil nach gängigen Definitionen kein consent gewährleistet werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht trotzdem einvernehmlich sein kann. Ein Vergewaltigungsspiel ist ja keine echte Vergewaltigung, auch wenn für einen unwissenden Beobachter vielleicht kein Unterschied erkennbar wäre. Die Kink Community behilft sich daher mit der Idee eines Metakonsens: Ich als Sub gebe meinem Dom im Vorfeld mein Einverständnis und die Erlaubnis, im Rahmen des CNC Spiels gegen meinen Willen zu handeln. Und für den Notfall habe ich immer noch mein Safeword, mit dem ich das ganze theoretisch sofort abbrechen könnte.


Aber selbst BDSM Sessions, die nichts mit CNC zu tun haben und die daher auch keinen Metakonsens erfordern, brauchen meist eine komplexere Definition von consent als "ja heißt ja" und "nein heißt nein". Immer wenn irgendwo ein Machtgefälle ins Spiel kommt, wird die Sache mit der Einvernehmlichkeit nämlich deutlich komplizierter. Ein paar Beispiele sind:

  • in der Arbeitswelt, wenn eine Person der anderen in der Unternehmenshierarchie übergeordnet ist (Klassiker: Chef & Praktikantin),

  • im privaten Umfeld, wenn finanzielle, emotionale oder andere Abhängigkeiten bestehen,

  • im Bereich sex work, in dem für sexuelle Dienstleistungen bezahlt wird,

  • und natürlich in D/S (Dom/Sub) Beziehungen.

Meiner Meinung nach sind in Situationen, in denen eine Person mehr Macht besitzt als die andere, die Tea Consent Regeln nicht geeignet, um echte Einvernehmlichkeit zu gewährleisten. Wo ein Machtgefälle besteht, ist die Gefahr, dass Grenzen verletzt werden, ungleich größer als in Beziehungen auf Augenhöhe. Mir ist es zum Beispiel schon passiert, dass ich zugelassen habe, dass ein dominanter Partner bestimmte persönliche Grenzen überschreitet, einfach weil mein Wunsch ihm zu gefallen so groß war. Natürlich hätte ich theoretisch jederzeit Stop sagen können und er hätte aufgehört. Aufgrund des Machtgefälles hatte ich aber das Gefühl, das nicht zu dürfen. Ganz ausschalten kann man das Risiko, dass so etwas in einer D/S Beziehung passiert, meiner Meinung nach nicht. Gute Kommunikation und das Schaffen eines sicheren Rahmens helfen aber, das Risiko einer Grenzüberschreitung zumindest zu minimieren. Dazu gehören für mich unter anderem:

  • Besprechen von Grenzen

Bevor ich mich das erste Mal mit einem neuen Partner treffe, kommuniziere ich meine Grenzen. Wir einigen uns darauf, auf welche Art von Session wir beide Lust haben und welche Praktiken erlaubt sind. Zusätzlich erzähle ich von meinen Hard & Soft Limits. Hard Limits sind Dinge, die ich absolut ausschließe. Soft Limits dagegen schließe ich nur für den Moment aus, z.B. weil ich warten will bis wir uns besser kennen.

  • Check-ins

Am sichersten fühle ich mich, wenn ich zusätzlich zur Möglichkeit jederzeit "nein" sagen zu können (z.B. indem ich mein Safeword benutze), während der Session auch immer wieder ein aktives "ja" geben kann. Wenn also mein Partner zum Beispiel zwischendrin immer wieder kurz nachfragt ob es mir gut geht, oder wir vorher ein Check-in Signal vereinbart haben. Das kann zum Beispiel ein kurzer Händedruck sein: Mein Partner nimmt ab und zu meine Hand und wenn ich zudrücke, weiß er, dass alles in Ordnung ist. Je vertrauter und im wahrsten Sinne des Wortes eingespielter ich mit einem Partner bin, desto weniger dieser Check-ins brauchen wir.

  • Aftercare & Auswertung

Das Risiko, dass Grenzen verletzt werden, lässt sich nie ganz vermeiden. Gute Kommunikation nach der Session kann aber dabei helfen, sich langsam in die Grenzbereiche (die ja oft besonders spannend und reizvoll sind) vorzutasten. Was hat sich gut angefühlt, was hätte mehr sein dürfen und was weniger? Was hat sich vielleicht gefährlich oder unsicher angefühlt? Und insbesondere falls doch Grenzen überschritten wurden, ist ausgiebige Aftercare extrem wichtig um die in ihren Grenzen verletzte Person aufzufangen. Dabei geht es nicht um Schuld, sondern darum das Selbstwertgefühl und die Bindung zu stärken und sicher zu stellen, dass Verletzungen in Zukunft vermieden werden können.



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Kurze Anmerkung zum Schluss: Das, was ich hier beschreibe, sind meine ganz persönlichen Erfahrungen und Empfindungen. Es ist keine Anleitung und keine Bewertung. Consent is everything.


 
 
 

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