BDSM ist für mich ein Weg, Facetten meiner Persönlichkeit zu zeigen, die ich sonst verberge. Im Alltag und im Berufsleben, als Mutter, als Freundin und Partnerin bin ich stark, selbstbewusst, durchsetzungsfähig, angepasst, höflich. Als Sub hingegen darf ich schwach sein, hilflos und ängstlich. Ich darf auch wütend werden, trotzig oder selbstmitleidig.
Die alten Griechen, ich glaube es war Aristoteles (im Zweifelsfall ist es eigentlich immer Aristoteles), hatten in Bezug auf Theater die Idee von Katharsis: Dass ich als Zuschauerin einer Theateraufführung Gefühle wie Angst und Trauer durchleben und mich somit von ihnen befreien kann. Nach dem Theaterbesuch bin ich dann wie gereinigt. Ein bisschen so ist es für mich mit BDSM: Die Session ist klar abgetrennt von der Realität, in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit einem Theaterstück. Es gibt feste Rollen, eine zeitliche Begrenzung, alle Beteiligten handeln einvernehmlich und wissen, dass es sich um ein Spiel handelt. Aber die Gefühle sind echt.
Im Rahmen einer Session empfinde ich Gefühle, die in meinem Alltag keinen Platz haben. Dazu gehören zum Beispiel Hingabe, Demut, die Lust am Unterwerfen. Ich ordne mich unter, blicke auf zu meinem dominanten Partner und genieße es, dass er Macht über mich hat. Mir fällt sonst keine Situation ein, in der ich ähnlich empfinde. Vielleicht geht es manchen Menschen bei religiösen Ritualen ähnlich? Ich jedenfalls kenne sie nur aus dem BDSM.
Scham hingegen ist ein Gefühl, das ich sehr gut kenne. Im Alltag sind mir ständig alle möglichen Dinge extrem peinlich. Etwas falsches sagen oder zu laut lachen, einen Fehler machen, etwas vergessen oder verlieren, falsch angezogen sein, zu spät kommen, etwas nicht wissen oder falsch verstehen - die Liste ist endlos. Ich bemühe mich, diese Situationen unbedingt zu vermeiden. Im Rahmen einer Session jedoch kickt mich Erniedrigung sehr. Und letztlich ist erniedrigt oder gedemütigt werden ja nichts anderes als beschämt zu werden. Diese Scham auszuhalten kann für mich erregend sein.
Auch Angst ist ein Gefühl, das ich im Alltag meide, das mir im Rahmen einer Session jedoch sehr viel geben kann - zum Beispiel beim Spielen mit Atemreduktion oder auch im Kontext von CNC Szenarien. Das gleiche gilt für Gefühle des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit, die ich außerhalb von BDSM nicht erleben möchte, die mich im Rahmen einer Session jedoch sehr erregen können.
Negativ besetzte Gefühle wie Scham und Angst können mich in einem sexuellen Kontext erregen und somit erwünscht sein. Ich entscheide mich ja ganz bewusst dafür, sie in diesem Rahmen zu erleben. Trotzdem bleiben sie herausfordernd und sind manchmal schmerzhaft. Das Machtgefälle ist Teil eines Spiels, das ich jederzeit beenden kann. Aber die Gefühle sind nicht gespielt. Ich erlebe sie so real wie alle anderen Gefühle auch. Die Hingabe und die Unterwerfung sind echt, der unbedingte Wille zu gefallen ist echt, die Scham ist echt und die Angst ist echt. Und das macht etwas mit mir. Es erlaubt mir, Seiten von mir zu zeigen, die ich sonst verstecke. Es bereitet mir Lust und sexuelle Befriedigung. Es kann einen kathartischen Effekt haben und eine tiefe Verbundenheit zwischen mir und meinem Partner schaffen. Und auch: Es macht mich wahnsinnig verletzlich.
Deswegen ist es für mich als Sub auch schwierig, wenn das Machtgefälle nach der Session abrupt aufgelöst wird. Ich komme nicht sofort aus meiner Rolle wieder heraus, nur weil der Rahmen und mit ihm das Spiel endet. Ich empfinde es als verletzend, wenn ein dominanter Partner das Erlebte zu relativieren versucht, indem er betont, dass ja alles nur gespielt war. Ich habe es einige Male erlebt, dass ein Spielpartner dem Impuls folgte, die Intensität der Session sofort im Anschluss auszugleichen oder abzuschwächen, zum Beispiel durch abrupte Themenwechsel, sich in eine neue Aktivität stürzen (duschen, aufräumen, essen, was auch immer) oder einen witzigen Spruch. Ich kann verstehen, woher diese Abwehrmechanismen kommen, denn auch Doms erleben ja im Rahmen einer Session Gefühle, die sie sonst vielleicht vermeiden und zeigen Seiten von sich, die sie normalerweise verstecken.
Diese Erlebnisse erst einmal wirken und die daraus entstehende Intimität zuzulassen, erfordert Mut. Ich muss das Erlebte auf der emotionalen Ebene ausklingen lassen und einordnen. Auf der rationalen Ebene weiß ich natürlich, dass ich nicht weniger wert bin, weil ich mich im Spiel untergeordnet habe. Dass ich genauso sein darf wie ich bin, obwohl mich etwas erregt hat, das "sich nicht gehört" oder Dinge getan habe, die "man nicht tut". Ich weiß das alles, aber ich muss es fühlen. Nach einer intensiven Session von der Sorte, die an die Substanz geht, brauche ich Verbindung und Aftercare, die mich spüren lässt: Wir haben gemeinsam gerade etwas sehr intensives erlebt. Ich habe dich wehrlos gemacht und dann habe ich den Finger in die Wunde gelegt um zu sehen was passiert. Ich habe nicht den Blick abgewendet, sondern ganz genau hingeschaut. Denn in deinen schwächsten, verwundbarsten Momenten bist du für mich unwiderstehlich schön.
Comments