Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe in den letzten Wochen intensiv den Rammstein Skandal in den Medien verfolgt. Beinahe obsessiv. Das Thema berührt mich - als Frau, als Feministin und als Person, deren sexuelle Vorlieben von großen Medienhäusern im Zuge dieses Skandals als "pervers" (1) und "widerlich" (2) bezeichnet werden. Mir fehlt die Perspektive der BDSM Community auf die Geschehnisse rund um Rammstein. Daher habe ich versucht, meine Gedanken in diesem Blog ein wenig zu ordnen.
Zuallererst: Ich finde es absolut furchtbar, dass hier offenbar Frauen Gewalt angetan wurde. Die Erfahrungsberichte der mutmaßlichen Opfer wirken auf mich größtenteils glaubwürdig. Offensichtlich wurden hier Frauen getäuscht, unter Druck gesetzt, zu sexuellen Handlungen genötigt und/oder vergewaltigt. Das ist durch nichts in der Welt zu entschuldigen und die TäterInnen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Gleichzeitig turnt mich das Szenario an, das in den Medien beschrieben wird. Frauen werden wehrlos gemacht, zu Sexobjekten degradiert, müssen in Reih und Glied zur Inspektion antanzen (im Rammstein Umfeld offenbar intern als "Schlampenparade" (1) bezeichnet), um dann - sofern auserwählt - dem mächtigen Mann in einer dunklen Kammer unter der Bühne einen zu blasen. Ich werde feucht wenn ich sowas lese. Ob ich will oder nicht. Meine körperliche Erregung, mein Kopfkino, meine Fantasien sind absolut nicht vereinbar mit meiner feministischen Weltsicht und meinem Mitgefühl mit den Opfern.
Eine Vergewaltigung ist nicht das gleiche wie eine Vergewaltigungsfantasie. Die allgegenwärtige, extrem detaillierte Berichterstattung rund um den Rammstein Skandal lässt diese Grenzen jedoch für mich, in meiner ganz persönlichen, subjektiven Wahrnehmung, verschwimmen. Das führt mich in ein Dilemma. Natürlich ist mir klar: Vergewaltigungsfantasien bedeuten nicht, dass ich Vergewaltigungen gutheiße. Trotzdem beschäftigen mich meine widersprüchlichen Gefühle - Wut und Erregung, Ekel und Lust, Abscheu und Verlangen. Ich fühle mich wie die schlechteste Feministin der Welt.
Was das Ganze nicht leichter macht, ist, dass sich der Rammstein Skandal in großen Teilen in Grauzonen abspielt. Zum Teil wurden offenbar ganz klar Grenzen überschritten: Frauen wurden unter falschen Versprechungen in die Row Zero und zu Afterpartys gelockt, mutmaßlich unter Drogen gesetzt, zu sexuellen Handlungen genötigt oder vergewaltigt. Das ist eindeutig non-consensual. Das sind Straftaten. Aber - und das wird am Beispiel des Rammstein Skandals sehr, sehr deutlich - nicht alles ist schwarz und weiß. Es gibt auch Frauen, die exakt dieselben Situationen, die von den Opfern als traumatisch geschildert werden, als einvernehmlich erlebten. Die offenbar Lust auf das Machtgefälle, auf den harten Sex, die Degradierung zum Sexobjekt durch einen Weltstar (nicht zuletzt auch eine Kunstfigur des ultimativen Doms) hatten. Und dann gibt es noch diejenigen, die selbst im Nachhinein nicht genau sagen können, ob Consent gegeben war oder nicht. Der SPIEGEL lässt eine Zeugin zu Wort kommen, die diese Grauzone sehr anschaulich beschreibt: "Später, als sie nur noch zu zweit im Zimmer gewesen seien, sei es dann dazu gekommen. Lindemann habe zweimal gefragt, ob das okay sei. Zoes Erinnerungen sind verschwommen. Im Kopf seien brutale Szenen hängen geblieben, sagt Zoe, zusammenhangslose Momentaufnahmen. (...) Wenn man sie fragt, ob sie die Nacht im Hotel als einvernehmlich empfindet, sagt sie: »Ich weiß es nicht.« Sie will nicht behaupten, dass es nicht einvernehmlich gewesen sei." (1) Der Fall Lindemann macht deutlich, wie gefährlich das Spiel mit dem Machtgefälle ist. Und wir haben es hier mit einem komplexen Machtgefälle auf mehreren Ebenen zu tun: Weltstar gegen Fan, älterer, reicher, dominanter Mann gegen junge, im Vergleich mittellose Frauen, die eine submissive Rolle einnehmen oder in eine solche gezwungen werden. Kann es in einer Konstellation mit Machtgefälle überhaupt echten Consent geben? Das sind Fragen, mit denen wir uns im BDSM in excruciating detail auseinandersetzen. Genau deswegen fehlt mir im gegenwärtigen medialen Diskurs rund um Lindemann die Perspektive der Kink Community.
Was mir außerdem sehr zu schaffen macht, ist, dass Beziehungen mit Machtgefälle im Zuge der gegenwärtigen Berichterstattung generell in einem schlechten Licht dargestellt werden. Egal ob einvernehmlich oder nicht - Praktiken, die denen des BDSM gleichen, werden durchweg negativ beleuchtet. Die ZEIT (2) kritisiert beispielsweise das Musikvideo zu Rammsteins Song Till the End. Es sei keine Kunst, sondern ein Porno. Es gebe "extreme, auch gewaltvolle Sexszenen"(2). Die ZEIT urteilt: "Der Clip ist widerlich." (2) Ich habe mir das Video angeschaut. Dass es sich um Pornographie handelt, würde ich unterschreiben (dass Kunst nicht pornographisch sein darf, übrigens nicht). Dass es gewaltvolle Sexszenen mit Lindemann in der dominanten und Frauen in der devoten Rolle gibt, hat die ZEIT richtig erkannt. Widerlich finde ich das Ganze allerdings nicht, ganz im Gegenteil. Die meisten Pornos, die ich mir so anschaue, sind um einiges heftiger. Lindemanns Verlag Kiepenheuer & Witsch kündigte ihm übrigens vergangene Woche die Zusammenarbeit mit der Begründung, er zelebriere in dem beschriebenen Video "Gewalt gegen Frauen" (2). Mich beschäftigt das.
Die innere Zerrissenheit, die ich oft verspüre, wenn sich meine sexuelle Identität als Sub und meine feministische Sicht auf die Welt nicht in Einklang bringen lassen, spiegelt sich im medialen Diskurs. Der SPIEGEL schreibt: "Wer sich im Umfeld von Lindemann umhört, bekommt den Eindruck, in diesem Mann wohnten zwei Persönlichkeiten. Da ist der introvertierte »Gentleman«, wie er oft beschrieben wird (...) , dem das Wohlergehen seiner Mitmenschen am Herzen liegt. (...) Das ist die eine Seite. Und dann ist da die andere. Ein aggressiver Till Lindemann, der schon mal wegen angeblicher Gewaltausbrüche in den Schlagzeilen landet. (...) Ein Mann, der es mutmaßlich genießt, Frauen zu dominieren. Ende 2018 trat Lindemann in Kiew mit einer Sexsklavin auf, die er vollständig in Latex gekleidet an einer kurzen Leine hinter sich herführte. (...) Ob er die Frauen liebt oder hasst, ist unklar." (1)
Aggressive Gewaltausbrüche und die Lust daran, Frauen zu dominieren, werden in diesem SPIEGEL Artikel gleichgesetzt. Es wird impliziert, dass jemand, der es genießt, zu dominieren, der pet play praktiziert, Frauen nicht lieben könne. WTF?
Auch ich trage Widersprüche in mir. Ich bin Feministin. Ich denke über die Gender Pay Gap und feministische Außenpolitik nach. Ich bin eine alleinerziehende Mutter, die ihrem Sohn erklärt, was das Patriarchat ist. Ich arbeite in einer männerdominierten Branche und muss mich täglich mit den Vorurteilen alter weißer Männer auseinandersetzen, die mir nicht zutrauen, Vorträge über IT Sicherheit und Cloud Infrastruktur zu halten. Und ich mag es, dominiert zu werden. Ich mag es, wenn mein Partner im Rahmen einer BDSM Session Macht über mich hat. Wenn er mich würgt und mir blaue Flecken zufügt, die noch Tage später sichtbar sind.
Der entscheidende Unterschied zwischen dem, was wir im BDSM praktizieren, und was Opfern im Rammstein Umfeld widerfahren ist, ist der Konsens bzw. Metakonsens. Es trifft mich, wenn die Praktiken, die mich so sehr erregen, als "pervers" (1) und "widerlich" (2) bezeichnet werden. Es beschämt mich und gibt mir das Gefühl, falsch zu sein, falsch zu denken, falsch zu fühlen. Vergewaltigung ist eine Sache. Die Lust am einvernehmlichen Machtgefälle eine ganz andere. Und diese Unterscheidung fehlt mir im aktuellen Diskurs um den Rammstein Skandal.
(1) https://www.spiegel.de/kultur/vorwuerfe-gegen-rammstein-sex-schnaps-gewalt-was-junge-frauen-aus-der-row-zero-berichten-a-07f31fb8-42c2-4891-9e0e-bf26b06557c0
(2) https://www.zeit.de/kultur/musik/2023-06/till-lindemann-rammstein-vorwuerfe-sexuelle-uebergriffe/komplettansicht
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